Der Nationalrat hat sich gestern im Rahmen der ausserordentlichen Session zum Thema Asyl mit gleich fünf Motionen aus den Reihen der Schweizerischen Volkspartei SVP befasst. Zusätzlich hat sich die grosse Kammer mit einer Motion der FDP auseinandergesetzt. Kurzum, es ging gestern hoch her im Parlament zu Bern. Das gewichtigste Geschäft drehte sich um die Beseitigung von Fehlanreizen in der Asylpolitik. So hat der Nationalrat im Zusammenhang mit der Motion 25.3274 von Christoph Riner (SVP/AG) mit 110 zu 74 Stimmen beschlossen, die dauerhafte Aufnahme von Asylbewerbern in der Schweiz zu erschweren.
Indem vorläufig aufgenommene Asylbewerber erst nach frühestens 10 Jahren ein Gesuch für eine dauerhafte Aufenthaltsbewilligung einreichen können. Bisweilen beträgt diese Frist 5 Jahre. Damit ist der Nationalrat dem zuvor gefällten Verdikt des Ständerates in der Sache gefolgt. Mit dem Beschluss will die bürgerlich geprägte Phalanx im Nationalrat, entgegen dem Willen des Bundesrates, bestehende Fehlanreize in der Asylpolitik beseitigen. Und dergestalt die Attraktivität der Schweiz als Zufluchtsort für Asylbewerber mindern.
Von Claudio Prader
Der Aargauer SVP-Nationalrat Christoph Riner hat im Nationalrat seine Motion 25.3274 erfolgreich durchgebracht. Und hat mit 110 Ja- gegen 74 Nein-Stimmen bei 8 Enthaltungen eine klare Mehrheit der grossen Kammer hinter sein Anliegen geschart. Sein mit der Motion von SVP-Ständerat Jakob Stark (Motion 25.3689) im Wortlaut gleich lautender Vorstoss konnte damit beinahe die gesamte bürgerliche Phalanx im Nationalrat für die geforderte Gesetzesänderung gewinnen. Beinahe? Aus der Fraktion der FDP haben sich Simone de Montmollin (GE), Anna Giacometti (GR) und Laurent Wehrli (VD) ihrer Stimme enthalten. Ebenso enthalten haben sich Giorgio Fonio (TI), Philipp Kutter (ZH), Vincent Maitre (GE) sowie Marie-France Roth Pasquier (FR) von der Partei Die Mitte. An der Abstimmung nicht teilgenommen haben von der FDP Michel Simon (SO) und von der SVP Didier Calame (NE), Michael Graber (VS) sowie Magdalena Martullo-Blocher (GR).
Der SVP gelingt im Nationalrat mit dem Systemwechsel in der Asylpolitik ein Durchbruch
Auf der Grundlage des Abstimmungsergebnisses im Nationalrats wird der Bundesrat beauftragt, die Rechtsgrundlagen anzupassen, damit ein Gesuch für eine Aufenthaltsbewilligung von vorläufig aufgenommenen Personen, Personen mit einem Ausweis N oder ohne Ausweis frühestens nach 10 Jahren möglich ist. Als vorläufig Aufgenommene gelten Personen, die aus der Schweiz weggewiesen wurden, deren Vollzug jedoch momentan unzulässig (Verstoss gegen Völkerrecht), unzumutbar (konkrete Gefährdung des Ausländers) oder unmöglich (vollzugstechnische Gründe) ist. Heute können vorläufig Aufgenommene unter Berücksichtigung der Integration, der familiären Verhältnisse und der Zumutbarkeit einer Rückkehr in den Herkunftsstaat bereits nach 5 Jahren ein Gesuch um Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung einreichen.
Alleine in den Jahren 2021-2024 hat das SEM in über 19’000 Fällen seine Zustimmung erteilt. Per Ende November 2024 hielten sich insgesamt 42’979 Personen mit einer vorläufigen Aufnahme in der Schweiz auf. Dass vorläufig aufgenommene Personen bereits nach kurzer Zeit eine Aufenthaltsbewilligung beantragen können, widerspricht dem Grundsatz der Vorläufigkeit. In der Praxis werden vorläufige Aufnahmen auch nicht jährlich geprüft. Im Jahr 2023 überprüfte das SEM lediglich 330 und im Jahr 2024 1’210 vorläufige Aufnahmen (Überprüfungen werden erfasst, wenn es nicht zur Aufhebung bzw. zum Erlöschen gekommen ist). Die heutige Praxis beeinträchtigt das ganze System der Asylpolitik und setzt klare Fehlanreize.
In Sachen Aufhebung des Schutzstatus S für die Ukraine erleidet die SVP eine Niederlage
Während dessen die Motion Riner einen Erfolg verbuchen konnte, hat die SVP mit der Motion 25.3602 (Aufhebung des Schutzstatus S für Personen aus der Ukraine) im Nationalrat eine Niederlage einstecken müssen. Der Vorstoss ist mit mit 85 Ja- gegen 106 Nein-Stimmen von der grossen Kammer versenkt worden. Damit bleibt der spezielle Schutzstatus S für Ukrainer und Ukrainerinnen bestehen. Der Status S ist am 12. März 2022 vom Bundesrat aktiviert worden. Am 4. September 2024 hat der Bundesrat den Schutzstatus S für Menschen aus der Ukraine bis zum 4. März 2026 verlängert.
Die Schweizerische Volkspartei hatte die Motion eingereicht, weil die Partei die Auffassung vertrat, dass sich die Lage in der Ukraine soweit stabilisiert hat, dass der Status S wieder abgeschafft werden und stattdessen ein reguläres Asylverfahren für Geflüchtete aus der Ukraine angewandt werden könnte. Die SVP findet Anstoss daran, dass der Schutzstatus S erhebliche Anreize für Missbräuche böte. Der Status S zementiere de facto eine Personenfreizügigkeit aus der Ukraine – und dies ohne Nachweis einer tatsächlichen Gefährdung, fand die Partei und brachte deshalb die Motion 25.3602 in den Nationalrat ein.
Das Protokoll der namentlichen Stimmabgabe im Nationalrat zur SVP-Motion 25.3602 finden Sie hier.
Beim Resettlement-Programm stellt sich der Nationalrat erneut gegen die SVP
Mit der Motion 25.3601 wollte die Schweizerische Volkspartei in der grossen Kammer die Aussetzung des Resettlement-Programms durchsetzen. Dieses Vorhaben war jedoch mit 64 gegen 124 Stimmen bei 4 Enthaltungen chancenlos. Die SVP wollte das Programm solange auszusetzen, bis die Gesamtbestände im Asylprozess (ohne anerkannte Flüchtlinge und abgewiesene Asylbewerber mit Rückkehrunterstützung) im Jahresmittel auf unter 50’000 Personen gesunken ist. Um was genau handelt es sich bei diesem Resettlement? Der Bundesrat kann grösseren Personengruppen im Rahmen von Resettlement-Programmen Asyl gewähren (vgl. Art. 56 AsylG). Seit 2013 hat er rund 7’000 Personen aus Konfliktgebieten im Nahen Osten direkt in die Schweiz eingeflogen. Bei den Menschen handelte es sich gemäss dem Flüchtlingshochkommissariats der Vereinten Nationen (UNHCR) um Flüchtlinge. Per 1. April 2023 ist das Resettlement suspendiert worden. Um der starken Belastung des Schweizer Asylsystems Rechnung zu tragen.
Die SVP hat während der Ratsdebatte geltend gemacht, dass das Asylsystem nach wie vor massiv überlastet sei. Und die Gesamtbestände im Asylbereich auf Rekordniveau liegen würden. Trotzdem habe der Bundesrat am 30. April 2025 beschlossen, das Resettlement-Programm zu reaktivieren und 1’600 Personen direkt in die Schweiz einzufliegen. Viele dieser Personen sprechen kein Wort Deutsch, haben keine Ausbildung und bleiben langfristig von Sozialhilfe abhängig. So lautet die gängige Meinung bei der Schweizerischen Volkspartei. Das sei verantwortungslos gegenüber der Schweizer Bevölkerung, welche die Folgen der verfehlten Asylpolitik zu tragen habe. Das Programm führe zu mehr Kosten, mehr Kriminalität und zu höheren Mieten. Trotz allem hatte der Nationalrat kein Musikgehör für den SVP-Chorus.
Das Protokoll der namentlichen Stimmabgabe im Nationalrat zur Motion 25.3601 finden Sie hier.
Mit der befristeten Gewährung von Asyl erleidet die SVP eine deutliche Schlappe
Verbunden mit der von der SVP-Fraktion eingereichten Motion 24.4588 war die Forderung, die Schweiz möge ein System einführen, wie es in Schweden und Dänemark praktiziert wird. Asyl soll nicht mehr unbefristet gewährt werden, lautet der Tenor der Motion. Mit dieser Ansicht konnte sich die Volkspartei im Nationalrat nicht durchsetzen. Und erlitt mit 63 Ja- gegen 129 Nein-Stimmen einen deutlichen Rückschlag. Die SVP wollte auf der Grundlage der Motion den Bundesrat beauftragt, die einschlägigen Gesetzesbestimmungen so zu ändern, dass Asyl befristet für zwei Jahre gewährt wird und nach einer Überprüfung um jeweils zwei Jahre verlängert werden kann. Auch sollte das Asyl mit einer einheitlichen bundesrechtlichen Aufenthaltsbewilligung erteilt werden.
Die SVP führte dafür das Modell Schweden-Dänemark ins Feld. Dort erhalten Flüchtlinge nur befristeten Schutz. Nach zwei bzw. drei Jahren wird der Status überprüft. Ist der Fluchtgrund weggefallen (veränderte Gefahrenlage im Heimatland) oder wird eine Unregelmässigkeit festgestellt (z.B. falsche Identitätsangabe), wird das Asyl widerrufen. Und die Behörden greifen durch. Die Schweizerische Volkspartei hält das Schweizer System, welches de facto zum dauerhaften Asyl führt, für problematisch. Mit dem Systemwechsel liesse sich die humanitäre Tradition der Schweiz stärken, so die SVP. Diesem Argumentarium ist der Nationalrat nicht gefolgt.
Das Protokoll der namentlichen Stimmabgabe im Nationalrat zur Motion 24.4588 finden Sie hier.
Die SVP wollte den Bundesrat zu mehr Transparenz bei Schengen-Dublin zwingen – der Nationalrat stieg nicht darauf ein
Auch dieses Mal war die Klatsche der Parlamentarierinnen und Parlamentarier im Nationalrat an die Adresse der SVP laut und deutlich. Mit 62 Ja-Stimmen und 128 Gegenstimmen versenkte die grosse Kammer die SVP-Motion 25.3566 sang und klanglos. Der martialische Slogan: EU-Unterwerfungsvertrag. Stopp der selektiven Informationspolitik des Bundesrats und Stopp der Geheimniskrämerei, konnte die Nationalräte und Nationalrätinnen nicht beeindrucken. Die SVP wollte damit den Bundesrat dazu auffordern, zwei Anhänge zum EJPD-Antrag von 2004 zu veröffentlichen. Beim Nationalrat jedoch fand dieser Ruf nach Transparenz kein Wiederhall. Die grosse Kammer ging bei der Ablehnung der Motion streng nach dem Gesetz. Weil die besagten Unterlagen aufgrund gesetzlicher Vorgaben dem Amtsgeheimnis unterliegen und eine Publikation daher nicht zulässig ist. Punktum.
Das Protokoll der namentlichen Stimmabgabe im Nationalrat zur Motion 25.3566 finden Sie hier.
Die FDP hat mit der Annahme der Motion zur Verhinderung von Sekundärmigration einen Achtungserfolg erzielt
Die FDP-Motion 24.3949 (Verhinderung von Sekundärmigration) ist vom Nationalrat mit 118 Ja- zu 69 Nein-Stimmen problemlos angenommen worden. Damit wird der Bundesrat aufgefordert, gesetzliche Anpassungen vorzunehmen. Damit Migranten, die in der Schweiz ein Asylverfahren durchlaufen, nicht besser gestellt sind als jene, die an der Schengen/Dublin-Aussengrenze ein Verfahren durchlaufen. Dies betrifft insbesondere die Unterbringung, den Zugang zur medizinischen Versorgung, das Grenzverfahren und die Sozialleistungen. Der Asylpakt mit der EU sieht erstmals Asyl-Verfahren an den Schengen-Aussengrenzen vor. Migrantinnen und Migranten mit geringen Chancen auf Aufnahme sollen so an der Weiterreise gehindert und direkt aus den Grenzlagern ausgeschafft werden.
Die Schweiz soll nicht weiter das Ziel für illegale Einwanderer sein
Aus Sicht der Schweiz gilt es, illegale Migration zu verhindern und keine Sogwirkung zuzulassen. Es ist deshalb unabdingbar, das schweizerische Recht so anzupassen, dass Asylsuchende, die in der Schweiz ein Gesuch stellen, nicht besser gestellt werden als solche, die über die Aussengrenzen einreisen. So die Begründung der FDP. Dies gelt nicht nur für das Verfahren an und für sich. Denn auch bei der Unterbringung, der medizinischen Versorgung und den Sozialleistungen dürfen Migrantinnen und Migranten, die in der Schweiz ein Gesuch stellen, nicht besser gestellt werden. Die FDP vertrat im Plenum die Auffassung, dass nur so verhindert werden könne, dass die Schweiz weiterhin das Ziel illegaler Einwanderer bleibt.
Das Protokoll der namentlichen Stimmabgabe im Nationalrat zur Motion 24.3949 finden Sie hier.