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Zu Beginn des neuen Jahres 2023 widmet die Fondation Beyeler dem aussergewöhnlichen, amerikanischen Maler Wayne Thiebaud eine Einzelausstellung.

Die Fondation Beyeler widmet sich den Werken von Wayne Thiebaud

Zu Beginn des neuen Jahres 2023 widmet die Fondation Beyeler dem aussergewöhnlichen, in Europa jedoch bisher nahezu unbekannten amerikanischen Maler Wayne Thiebaud (1920–2021) die erste Einzelausstellung im deutschsprachigen Raum. In seinen Stillleben mit Alltagsgegenständen beschwört Thiebaud in betörenden Pastelltönen die Verheissungen des «American Way of Life». Gleichzeitig bezeugen seine erstaunlichen Porträts, multiperspektivischen Stadtansichten und Landschaften die Vielseitigkeit des technisch brillanten Malers.

Anhand von 65 Gemälden und Zeichnungen aus öffentlichen wie privaten, vorwiegend amerikanischen Sammlungen präsentiert die Retrospektive die wichtigsten Werkgruppen des Künstlers und lädt dazu ein, seine einzigartige Malweise sowie seinen taktilen Umgang mit der Farbe zu entdecken. Der in den USA für seine Stillleben berühmte Thiebaud lotete die Möglichkeiten des malerischen Ausdrucks an der Grenze zwischen sichtbarer und imaginierter Welt aus und schuf so eine ganz eigene, zwischen Ironie, Witz, Nostalgie und Melancholie changierende Bildsprache.

Die Ausstellung präsentiert in einzelnen Themen gewidmeten Räumen Thiebauds wichtigste Werkgruppen

Wayne Thiebaud gehört zu den führenden Vertretern der amerikanischen figurativen Kunst und steht damit in der Tradition von Malern und Malerinnen wie Edward Hopper und Georgia O՚Keeffe. Früh entdeckte er sein Interesse für Comics und Zeichentrickfilme, er arbeitete kurzzeitig in der Trickfilmabteilung der Walt Disney Studios und später als Werbegrafiker und kommerzieller Zeichner. Von 1949 bis 1953 studierte er Kunst an der San José State University und der California State University in Sacramento. Zeit seines Lebens war er in der Lehre tätig und bildete Generationen von Künstlerinnen und Künstlern aus. Thiebaud bewegte sich abseits der grossen Kunstmetropolen und malte unabhängig von den jeweils vorherrschenden Kunstbewegungen. Aufgrund seines Interesses an Objekten der Populärkultur wird er oft der Pop-Art zugerechnet – eine Einordnung, der er sich selbst jedoch stets verweigerte. In Anbetracht seiner eigenen Sichtweise auf die Ästhetik der Massenproduktion und seines Fokus auf die Malerei kann Thiebaud eher als ein Vorläufer der Pop-Art eingestuft werden. Er selbst bezeichnete Diego Velázquez, Paul Cézanne, Henri Rousseau und Piet Mondrian als Vorbilder, war aber als Cartoonist auch stark durch Werbegrafiker und Plakatmaler beeinflusst.

Viele den amerikanischen Lebensstil widerspiegelnde Motive aus dem Alltag, von Kaugummiautomaten über farbenprächtige Torten und in sich verschlungene Autobahnstrassen, oft in das Sonnenlicht der Westküste getaucht, finden sich in Thiebauds Gemälden. Auf den ersten Blick erscheinen seine Bilder geradezu plakativ und selbsterklärend. Bei genauerer Betrachtung stellt man jedoch bald fest, dass sie über eine weitere Ebene verfügen. So setzen sich die Kompositionen aus schier unzähligen Kombinationen oft intensiv leuchtender Farben zusammen, die das Motiv in den Hintergrund treten lassen. Für den Maler waren die Grenzen zwischen Gegenständlichkeit und Ungegenständlichkeit fliessend, indem er durch den gezielten Einsatz der Farbe das Motiv einem Abstraktionsprozess unterzog. Im Vordergrund seines Interesses standen vielmehr die Möglichkeiten der Malerei und insbesondere der Farbe.

Die Ausstellung präsentiert in einzelnen Themen gewidmeten Räumen Thiebauds wichtigste Werkgruppen. Dazu gehören seine Stillleben, Figurenbilder, Stadtansichten und Flusslandschaften. Den Auftakt bilden drei seiner Schlüsselwerke: Student, 1968, 35 Cent Masterworks, 1970, und Mickey Mouse,1988. Thiebauds Mickey Mouse zeigt die Verbundenheit des Künstlers mit der frühen amerikanischen Popkultur. Die Comicfigur Mickey Mouse ist gewissermassen der Gegenentwurf zum traditionellen westlichen Kanon der Kunst und verkörpert gleichsam die Quintessenz des «Pop». Mit Student wiederum führte Wayne Thiebaud die Prinzipien der Porträtmalerei exemplarisch vor Augen. Zu sehen ist eine junge Frau, die den Betrachtenden auf einem Stuhl gegenübersitzt und diese intensiv anzuschauen scheint.

Trotz ihres fixierenden Blicks verschwimmt ihre Individualität bei genauerem Hinsehen, die Wirkung der Farben überlagert die Wahrnehmung ihrer Person. Dieser distanzierte Eindruck verstärkt sich, je mehr man sich dem Bild nähert: Jegliche individuellen Züge der jungen Frau scheinen sich in Myriaden von Kombinationen strahlender Farben aufzulösen. Um Persönlichkeiten anderer Art geht es in 35 Cent Masterworks, in dem Thiebaud seine künstlerischen Vorbilder versammelt hat. Fein säuberlich arrangiert stehen dort zwölf bedeutende Werke der Kunstgeschichte in einem Zeitschriftenregal. Mondrians Tableau No. IV, Monets Seerosen und Picassos Nature morte à la guitare sind wie alle anderen Bilder für nur 35 Cent erhältlich, wie ein Preisschild verrät. Thiebaud, ein Kenner der Kunstgeschichte, hinterfragt in seinem Gemälde den «Wert» der Meisterwerke, die er eigentlich bewundert, auf humorvolle Art, und thematisiert zugleich das Verhältnis von Original und Reproduktion. Die Zusammenstellung der Bilder offenbart zudem eine Nähe zur Sammlung der Fondation Beyeler.

In Thiebauds Figurenbildern bleibt die Nähe zu seinen Stillleben weiterhin sichtbar

Ein ganzer Raum der Ausstellung ist der wohl bekanntesten Werkgruppe, den Stillleben, gewidmet. In allerlei Auslagen und auf Tellern hübsch präsentiert, reihen sich süsse Leckereien aneinander. Spielzeuge, Stofftiere und Eiscreme-Waffeln erinnern an die grössten Versuchungen aus Kindertagen. Pie Rows, 1961, zeigt verschiedene solcher Kuchenstücke, die sich neben- und hintereinander zu einem Muster fügen. In ihrer Verführungsmacht und Zuckrigkeit haben sie eine ebenso beruhigende wie überwältigende Wirkung auf die Betrachtenden. Thiebaud gelingt es so, die vermeintliche Harmlosigkeit der verbildlichten Lebensmittel und Gegenstände zu entlarven und diese in ihrer Verfügbarkeit als bedeutende Elemente unseres Konsumverhaltens kenntlich zu machen.

In einem weiteren Raum sind Spielautomaten das Hauptmotiv. Jackpot, 2004, präsentiert einen sogenannten «Einarmigen Banditen», der für kleines Geld die Chance auf den Hauptgewinn verheisst. Ähnlich wie die Kuchen lockt auch dieses Stillleben mit heimlichen Glücksgefühlen. Daneben gewähren spiegelnde Farbtöpfe mit herabtropfender Farbe und bunte Pastellkreiden, die den Abschluss des Themenkreises «Stillleben» markieren, einen fast intimen Einblick in ein weiteres Sujet: den Arbeitsalltag des Künstlers und seine Malutensilien.

In Thiebauds Figurenbildern bleibt die Nähe zu seinen Stillleben weiterhin sichtbar, die Personen wirken zwar realistisch erfasst, posieren aber in ungewöhnlichen, statischen Körperhaltungen – in der Badewanne bis zum Kopf versunken, in Badeanzügen nebeneinander kniend oder Eiscreme essend. Girl with Pink Hat, 1973, orientiert sich an prominenten Bildnissen der Renaissance etwa eines Sandro Botticelli oder eines Giorgione. Doch im Unterschied zu diesen lassen Komplementärkontraste und leuchtend farbige Konturen das «Mädchen mit dem pinken Hut» erstrahlen. Eating Figures, 1963, dagegen ist jene Komik unterlegt, die man in vielen von Thiebauds Bildern vorfindet: Ein Mann im Anzug und eine Frau im Kleid sitzen auf Barhockern sehr eng nebeneinander und blicken scheinbar lustlos auf ihre Hotdogs, die sie in den Händen halten. Der Heisshunger auf Fast Food und der Genuss des beliebten Imbisses wird hier mit den Mitteln der Ironie ad absurdum geführt.

Ab den 1990er-Jahren liess sich Wayne Thiebaud von landwirtschaftlich genutzten Flächen inspirieren

Weniger bekannt sind die Bilder von Städten und Landschaften. Rock Ridge, 1962, und Canyon Mountains, 2011/12, zeigen steile Felswände, die von Hochplateaus abfallen, auf denen sich zuweilen detailliert gemalte Landschaften erstrecken. In den 1960er-Jahren begann Wayne Thiebaud erste Landschaftsbilder zu malen. Dabei konzentrierte er sich auf atemberaubende Darstellungen von San Francisco, abgeflachte Vogelperspektiven auf das Flussdelta des Sacramento River und wuchtige Panoramen der Berge und Gebirgsketten der Sierra Nevada. Die gemalten Abgründe vermitteln den Eindruck, als ob man in die Abgründe der Farben stürze. Für seine Stadtansichten liess sich Thiebaud massgeblich von San Francisco inspirieren. Die Stadt mit ihren achterbahnartigen Steigungen und steilen Strassen hat er auf fantasievolle Weise mittels starker Kontraste und von Diagonalen beherrschter Kompositionen verbildlicht. Schwindelerregend sind die Strassenzüge in die Höhe gekippt, sie versetzen die Betrachtenden in atemloses Staunen und regen dazu an, darüber nachzusinnen, ob sie überhaupt begeh- oder befahrbar sind.

Es sind symbolhafte Bilder der zeitgenössischen US-amerikanischen Stadtlandschaft, die von einem dicht ausgebauten Strassennetz und von Ballungszentren geprägt ist und wo selbst noch die unwirtlichste Natur vom Menschen technisch erschlossen wird und trotzdem seltsam entleert wirkt. Die später entstandenen Gemälde Ponds and Streams, 2001, Flood Waters, 2006/2013, oder auch White Riverscape, 2008–2010, wiederum zeigen künstliche Seen und Flusslandschaften. Ab den 1990er-Jahren liess sich Wayne Thiebaud von landwirtschaftlich intensiv genutzten Flächen in der Nähe seines Wohnorts Sacramento zu einer Reihe von panoramaartigen Motiven inspirieren. Ponds and Streams präsentiert eine typische nordkalifornische Kulturlandschaft, fernab der touristisch bekannteren Gegenden. Die Felder, Baumgruppen und Wasserreservoirs geben die Topografie nicht exakt wieder. Sie fügen sich vielmehr zu einer bruchstückhaften, sich aus zahlreichen Erinnerungen speisenden Komposition, die durch die Verwendung der Pastellfarben verfremdet erscheint.

Der Katalog zur Ausstellung wurde von Bonbon (Zürich) gestaltet und erscheint auf Deutsch und Englisch im Hatje Cantz Verlag

In seinen Werken hat Thiebaud die Eindrücke seines Lebens verarbeitet. Auf einzigartige Weise erweckt er mit seinen flimmernden Farbwelten, harmonisch wirkenden Kontrasten und vibrierenden Linien Torten, Landschaften und Menschen zum Leben. Obwohl die Motive gleichsam humorvoll und ironisch anmuten – wie Comics regen sie zum Schmunzeln an, unterhalten oder bringen das kindliche Staunen zurück –, bergen Thiebauds Bilder etwas Nostalgisches und Melancholisches in sich. Nach den ersten Glücksgefühlen beim Anblick der prächtigen Bäckereiauslagen oder Stofftier-Regale mischt sich mitunter ein Anflug von unerwarteter Traurigkeit in die Betrachtung – eine Sehnsucht nach einer vergangenen Welt oder einer längst verflossenen Liebe. Über diese nostalgische Anwandlung hinausgehend, lösen Thiebauds Bilder aber durchaus auch Gefühle der Beklemmung aus, die sich an der Künstlichkeit seiner Stilleben, Figuren und Landschaften entzünden. Gerade angesichts gesellschaftlicher Entwicklungen in der heutigen Zeit fällt die Absenz des Natürlichen und des Gesunden in den Darstellungen geradezu ins Auge, sodass Thiebauds Bildwelten trotz all ihrer Verheissungen und ihrer Farbenpracht durchaus auch als künstliche, einsame und toxische Orte wahrgenommen werden können.

Der Katalog zur Ausstellung wurde von Bonbon (Zürich) gestaltet und erscheint auf Deutsch und Englisch im Hatje Cantz Verlag, Berlin. Auf 160 Seiten enthält er Beiträge von Janet Bishop und Ulf Küster sowie das letzte Interview Wayne Thiebauds aus dem Jahr 2021, geführt von Jason Edward Kaufman.

https://www.fondationbeyeler.ch

Wayne Thiebaud / 29. Januar – 21. Mai 2023